Plädoyer für eine „Pflege in Würde“
Berufliche Überforderung, Krankenstände, Ansteckungen und Todesfälle waren und sind die Folge. So gab es in der Steiermark eine sehr große Anzahl von Ansteckungen beim Personal in Pflegeheimen, aber vor allem mehr als 500 Todesfälle und eine sehr große Anzahl von Ansteckungen bei den BewohnerInnen. Damit liegt die Steiermark im Spitzenfeld der Mortalitätsraten in Österreich. Aber nicht nur in der Steiermark kam es zu enormen Belastungen für das Personal im medizinischen und pflegerischen Bereich.
Anhand eines aktuellen Berichtes des International Council of Nurses erkennt man die derzeitige Situation aller „Nurses“ in aller Dramatik: Während in Japan 15% der Pflegekräfte ihre Arbeit nieder gelegt haben, weil sie einfach nicht mehr konnten, gibt es Berichte aus Ländern über massive Angstzustände (49% Brasilien, 60% China, 80% Spanien), Panikattacken, schlaflose Nächte, verbunden mit Albträumen, die einem schreiend in der Nacht erwachen lassen, Depressionen und Burnout.
In diesen ganzen Berichten stehen unzählige Seiten über Angst, Depressionen, Burnout und beruflicher Stigmatisierung. Darüber hinaus starben tausende Krankenpflegefachkräfte im Jahre 2020 an den Folgen von Covid19. Weltweit fehlen laut ICN & WHO schon jetzt fast 6 Millionen Pflegekräfte.
Mehr denn je leisten Pflegefachkräfte Unvorstellbares, um kranke und pflegebedürftige Menschen fachgerecht zu versorgen.
In der Hoffnung, so viele Menschen wie möglich lebend und gesund durch die Pandemie zu bringen. Viele isolieren sich zusätzlich in ihrer Privatzeit, um durch die berufsbedingte Exposition ihr privates Umfeld nicht zu gefährden.
Diese starke Beanspruchung wurde auch im Rahmen einer online-Konferenz der KAB Steiermark sichtbar. ExpertInnen aus unterschiedlichen Bereichen der Pflege (Mobile Hauskrankenpflege, Pflegeheime und Spitäler) schilderten sehr detailliert, wie groß die Herausforderungen und Zumutungen für das Pflegepersonal und für das Management dieser Einrichtungen waren, und nach wie vor sind.
Ein sehr großes Problem für die betreuten Personen im mobilen und stationären Bereich stellten die Einschränkungen rund um das teilweise verhängte Besuchsverbot dar. Da sehr viele betreute Personen alleine leben, wurde neben der sozialen Isolation auch die Versorgung mit Bargeld, der Lebensmitteleinkauf und die Medikamentenversorgung zum Problem. Mobile Pflegekräfte wurden oft nicht ins Haus gelassen – sie wurden mit ihren Gesichtsmasken von nicht wenigen Personen nicht erkannt.
Im stationären Bereich galt es und gilt es weiterhin, den ohnehin zu geringen Personalstand - verschärft durch die Ausweitung von Krankenständen – durch eine gewaltige Kraftanstrengung des vorhandenen Personals zu kompensieren.
Wobei sich jene Heime, die von großen Trägern der Altenhilfe betrieben werden, mit dem Personalnotstand leichter taten, konnten sie doch aus anderen Einrichtungen Personal zur Verfügung gestellt bekommen. Schwieriger war es sicher für die Betreiber kleinerer privater Häuser.
Sowohl im Spitals- als auch im Pflegeheimbereich wurden eigene Stockwerke für an Corona erkrankte Personen geschaffen. Dieser aus Hygienegründen notwendige Ortswechsel, führte nicht selten bei hochaltrigen und dementen Personen zu massiven Irritationen und psychischen Belastungen. Angesichts der Belastungen für das Personal und der BewohnerInnen wurde die Bedeutung der Pflegeheimseelsorge sehr stark unterstrichen. Große seelische Not konnte dadurch gelindert und so manches religiöses bzw. spirituelles Bedürfnis gestillt werden.
Besonders beeindruckend dabei waren die Beobachtungen der Heim- und Pflegedienstleitungen über das Zusammenwachsen und Zusammenhalten der Betreuungsteams. Es wurde sehr überzeugend sichtbar gemacht, dass gut funktionierende Teams eine ganz wichtige Ressource darstellen, um diese gewaltigen Herausforderungen entsprechend gut bewältigen zu können.
Ein spezielles Problem stellte das Entlassungsmanagement der Spitäler dar. Um rasch Betten für neu eintreffende PatientInnen zu schaffen, ging man zu sehr raschen und oft nicht gut vorbereiteten Entlassungen über. Diese auch oft verwirrten Personen wieder gut aufzunehmen und zu stabilisieren, stellte eine weitere Herausforderung für das Pflegepersonal dar.
Um den aktuellen und zukünftigen Bedarf an qualifiziertem Pflegepersonal abdecken zu können, bedarf es einer intensiven Ausbildungsoffensive. Wobei es entsprechende finanzielle Unterstützungsprogramme benötigt, um genügend Personen einen Umstieg in einen Pflegeberuf zu ermöglichen. Berechnungen gehen davon aus, dass in Österreich bis 2050 zusätzlich Hunderttausend Pflegekräfte benötigt werden.
Als oberstes Ziel und zentrale Anliegen aller ReferentInnen, um eine Pflege in Würde aktuell und in Zukunft realisieren zu können, wurden formuliert:
- Eine rasche Beschlussfassung über eine umfassende Pflegreform ist unabdingbar.
- Die Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal müssen endlich verbessert werden.
Dazu gehört aus Sicht der KAB Steiermark:
- Mehr Zeit für die BewohnerInnen und PatientInnen, verlässliche Arbeitszeiten, Entlastung von Bürokratie und Personalschlüssel nach echten Bedarf;
- Aufwertung des Berufsbildes, höhere Gehälter und Zulagen und Entlohnung bei Weiterqualifizierung, mehr selbstständiges Arbeiten und bessere Karrierechancen;
- Abkehr vom Profitdenken durch private Pflegeheimbetreiber durch restriktive Auflagen und strenge Kontrollen und
- Aufbau einer Pflegeversicherung.
Die KAB Steiermark wird an diesem Thema dranbleiben und als nächsten Schritt mit VertreterInnen der politischen Parteien über diese Anliegen diskutieren.
Für eine Pflege in Würde – jetzt und in Zukunft!
Martin Hochegger
Vorsitzender der KAB Steiermark